Geschichte der deutschen Einwanderung
Die Deutsche Einwanderung in Chile im 19. Jahrhundert
von unserem Freund Dr. Klaus Keller Finsterbusch, Santiago, Chile - (* 1935 - + 2013)
Die deutsche Einwanderung in Chile begann um die Mitte des 19. Jahrhunderts. In Deutschland hatten sich extreme Umwälzungen der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ereignet. Das Aufkommen liberaler Ideen führte zu politischen Unruhen und zur Revolution von 1848. Die Regierungen der einzelnen deutschen Staaten verfolgten Angehörige des Mittelstandes wegen ihrer liberalen Ansichten. Die ungeheure Wirtschaftsexpansion Englands über die ganze Welt brachte auch in Deutschland die Heimwerkerindustrie und die Handwerker an den Rand des Ruins. Das Kleinbauertum in den Realteilungsgebieten befand sich ebenfalls in einer tiefen Krise. Laut einer Erklärung der preußischen Regierung trat in Oberschlesien nach einer Mißernte von Kartoffeln und Kraut sofort der Notstand ein. Viele deutsche Untertanen waren nicht mehr bereit die Folgen des Radikalismus und der Instabilität weiterhin zu ertragen. Die "Neue Welt" lockte mit Freiheit, Gleichheit und besseren Zukunftsaussichten, die ihnen Deutschland nicht bieten konnte.
Der deutsche Naturforscher Bernhard Philippi (1811 - 1852) hatte auf seinen Reisen (1833, 1837, 1841) im südlichen Chile weite nur dünn besiedelte Landstriche gefunden, die ihm zu Chiles Nutzen für die Besiedlung durch deutsche Bauern geeignet erschienen. Er entwickelte einen Kolonisationsplan für rein deutsche Siedlungen um Valdivia und am Llanquihue-See (mapuche: llanqui = überschwemmt, hue = Ort), den er der chilenischen Regierung vorlegte. Mit dem Kolonistengesetz von 1845 wurde die Grundlage für ein derartiges Vorhaben geschaffen, und Philippi wurde im Jahre 1848 von der chilenischen Regierung zum offiziellen Einwanderungsagenten ernannt und beauftragt 180 bis 200 deutsche katholische Familien nach Chile zu bringen. Daraufhin reiste Philippi nach Deutschland, um dort Siedler für Chile anzuwerben. Zunächst hatte er keinen Erfolg, da die Bischöfe von Paderborn und Münster, an die er sich gewandt hatte, ihren Gläubigen die Auswanderung verweigerten. Philippi warb hauptsächlich im Kasseler Raum und durch Inserate in über 30 Zeitungen Deutschlands. Auf Grund der von der chilenischen Regierung dekretierten Religionsfreiheit für die Einwanderer im rein katholischen Chile, ergab es sich, daß überwiegend evangelische Familien ins Land kamen.
Die erste Kolonistengruppe, zusammengestellt von Rudolf Philippi, dem Bruder Bernhard Philippi's, kam am 25. August 1846 an Bord des Segelschiffes "Catalina" im Hafen von Corral an. Nach diesem historischen Datum kamen noch über 10 weitere Schiffe mit Ein-wandererfamilien nach Corral. Diese Immigranten waren von einer Privatgesellschaft angeworben worden und sollten die Ländereien um Valdivia besiedeln. Inzwischen hatte sich die Sachlage in Valdivia geändert, und das den Einwanderern zugedachte Land stand nicht mehr zur Verfügung. Ein Teil dieser Familien wurde durch Vermittlung von Vicente Pérez Rosales (1807 - 1886), Nachfolger von Bernhard Philippi, auf der Insel Teja bei Valdivia angesiedelt. Später im Jahre 1852 wurden 212 Personen von Pérez Rosales auf einer aberteuerlichen und gefährlichen Schiffsreise nach Melipulli (mapuche: meli = vier, pulli = Hügel) weitergeleitet, um sie auf den von der Regierung geplanten Ländereien um den Llanquihue-See anzusiedeln. In Melipulli gab es damals noch keine zweckmäßige Gebäude um die Einwandererfamilien unterzubringen, nur ein paar improvisierte Bretterbuden ohne Fenster, die die Chiloten (Einwohner der Insel Chiloé) benutzten, wenn sie auf das Festland kamen, um Alercebäume (Fitzroya cupressoides) zu Balken, Brettern und Schindeln zu verarbeiten. Die ganze Gegend, vom Meer bis zum Llanquihue-See und noch weiter nordwärts, war mit undurchdringlichem Urwald bewachsen, so dass Pérez Rosales Ende 1852 erst einen Weg zum Llanquihue-See bauen lassen mußte, damit die Einwanderer zu ihren Ländereien gelangen konnten.
Einige Monate später, am 12. Februar 1853, wurde Melipulli umbenannt und erhielt in einer feierlichen Zeremonie unter dem Vorsitz von Vicente Pérez Rosales zu Ehren des Präsidenten Manuel Montt den Namen Puerto Montt (Puerto = Hafen). Nach wenigen Jahren sollte sich Puerto Montt dank der deutschen Einwanderer zu einer blühenden Stadt entwickeln.
Im Jahre 1853 begab sich Vicente Pérez Rosales als Kolonisationsagent und Chilenischer Konsul in Hamburg nach Deutschland, um dort die von Philippi begonnene Arbeit weiter-zuführen. Erst in 1856 konnte er 5 Schiffe mit 675 Personen und im Jahr darauf 3 Schiffe mit 403 Personen nach Chile entsenden. Er kehrte dann in 1860 nach Chile zurück, da es ihm nicht gelungen war einen größeren Auswanderungsstrom, wie es der chilenische Präsident Manuel Montt gewünscht hatte, nach Chile zu leiten. In den folgenden Jahren wurde es immer schwieriger weitere Auswanderer anzuwerben, nur noch sporadisch kamen deutsche Einwanderer in den Jahren 1874, 1882 - 1890, 1895 und 1929. Bis zur Jahrhundert-wende hatten sich weniger als 10.000 deutsche Einwanderer in Chile angesiedelt, aber durch ihre Tatkraft und Einsatzbereitschaft gewann der Süden Chiles landwirtschaftlich, industriell und kulturell erheblich an Bedeutung und leistete damit mehr als nur den Beitrag, den man sich von einer liberalen Kolonisationspolitik versprochen hatte.
Zeichnung von Pérez Rosales: Landschaft in der Provinz Llanquihue zur Zeit der deutschen Kolonisation.
Der Text rechts unten lautet:
"Puerto Montt. Premier siège de la Colonia. 18. Oct. 1850 et la vue de mon palais au milieu des tiges"
Quelle: http://www.finsterbusch.org